Im letzten Jahr wurde gedreht, 2016 kommt ein „Heimatfilm“ reinsten Wassers – betrachtet aus dem Bochumer Blickwinkel – in die Kinos. In „Radio Heimat“ machen vier Freunde in den 1980er Jahren – basierend auf den teilweise autobiographischen Erzählungen des Schriftstellers und Kabarettisten Frank Goosen –  den Ruhrpott unsicher, um endlich ihre Männlichkeit zu entdecken.

Gedreht wurde 2015 in Köln, an der Ostsee und selbstverständlich im Ruhrgebiet.

Vieles spielt in Bochum. Auch einige Einstellungen, die in der Nachbarstadt Gelsenkirchen entstanden sind. Dort war ich im August 2015 einen Tag dabei. Hurra, ich bin sogar im Bild. Doch um den Komparsen Keiterling zu entdecken, muss man schon sehr genau hinschauen. Auf gehts, hinter die Kulissen einer Filmproduktion. Was das hier in diesem Magazin zu suchen hat? Ein Capri spielt ebenfalls eine Rolle.

Blickrichtung Zeche: ein Capri beim Dreh zum Kinofilm „Radio Heimat“.

Vier Szenen sind es, die am 6. August auf dem Drehplan stehen. Treffpunkt an einem sonnig-heißen Sommertag  ist morgens um 8 Uhr an der sogenannten „Base“. An diesem Ort, an jenem Tag in der Erdbrüggenstraße im Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck gelegen, kommen temporär alle Mitarbeiter zusammen. Der Caterer baut gerade sein Equipment auf, erster Kaffee. Später wird Rührei gereicht, gefolgt vom Mittagstisch und Kuchen. Hier steht auch der Lkw der Kostümbildnerei. An den Wänden lange Kleiderstangen, wo die gekennzeichnete Bekleidung für die Schauspieler hängt. Die Trommel der Waschmaschine dreht sich, am Bügelbrett wird bereits das Eisen geschwungen. Nebenan haben die Kollegen der Maske Station bezogen. „Radio Heimat“ beinhaltet Szenen aus verschiedenen Jahrzehnten, entsprechend müssen „Klamotten und Köppe“ aussehen. Heute ist vor allem 1983, entsprechend stehen an diesem Tag „Vokuhila-Frisuren“ (vorne kurz, hinten lang) hoch im Kurs.

Im Fokus der Kamera – hoffentlich auch nach dem Schnitt des Films.

Hier laufe ich in einer Einstiegsszene vor dem Modellbauladen herum.

Der Blick nach draußen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite läuft Keiterling. Man wird sehr genau hinsehen müssen.

Für mich nicht. Ich laufe nur im Hintergrund durchs Bild, außerdem ist „meine  Szene“ in der Gegenwart angesiedelt. In einem herrlich ollen Modellbahngeschäft wird beim Anblick des fahrenden Zugs in idyllischer Kulisse über die Vergangenheit philosophiert. Und ich marschiere auf der gegenüberliegenden Straßenseite vorbei. Bitte darauf achten! Es ist eine der Einstiegsszenen des Films.

Mit einem Fahrzeug des Shuttle-Dienstes geht es in die Wildenbruchstraße, nahe des Gelsenkirchener Hauptbahnhofs. Hier ist der Drehort. Auf die Ansage „Und Achtung, wir drehen“ folgt ein lautes „Bitte!“ Ich gehe los. Viermal schallt hinter mir her: „Abgebrochen!“ Bei drei weiteren Versuchen wird gestoppt, noch bevor ich einen Fuß vor den anderen setzen kann. Gründe gibts verschiedene, meine Gangart ist es nicht. Mal rauscht ein Müllwagen durchs Bild, dann latscht ein nicht abgefangener Passant durchs Bild, schließlich entgleist die Modelllok zweimal. Ohne den Zug geht es selbstverständlich nicht. Dann bleibt alles im Gleis, nichts ist auf der Straße, was dort in dieser Szene nicht hingehört, ich stolpere auch nicht und der Schauspieler kennt seinen Text. Im Kasten!

Der Drehplan: „Ruhrpottler popelt vor dem Schaufenster in der Nase“, steht da beim Motiv Modellbauladen.

Regisseur Matthias Kutschmann (links) und Kameramann Gerhard Schirlo.

Vor dem Dreh erhalten die Autos historisch korrekte DIN-Kennzeichen mit Bochumer Zulassung. Ist ja schließlich 1983.

Der Tross zieht weiter zur Sozialtherapeutischen Anstalt, nur ein paar Ecken weiter. Nein, nicht zur kurzfristigen Hilfe für die Crew – eine Knast-Einstellung steht auf dem Drehplan. Danach gehts zurück zur „Base“. Die Erdbrüggenstraße ist inzwischen im relevanten Teilbereich abgeriegelt. Vor dem Mittagessen wird noch Ingo Naujoks abgedreht. Der gebürtige Bochumer hat seine letzte Klappe in dieser Produktion. Dabei lehnt er sich aus dem Fenster im ersten Geschoss eines der für diese Region früher so typischen Zechenhäuser. Die Straße zeigt direkt auf das markante Doppelstrebengerüst über dem Zentralförderschacht 9 der 1993 geschlossenen Zeche Consolidation. Naujoks, in einem Bademantel gehüllt und mit Zigarre in der Hand, stöhnt über sein geschundenes Kreuz und verlangt nach Franzbranntwein. Dies tut er sechs oder acht Mal, dann sind Kameramann Gerhard Schirlo und Regisseur Matthias Kutschmann, der auch das Drehbuch schrieb, rundum zufrieden. Mit dem Applaus der Crew wird Naujoks verabschiedet.

Hier hat sich jemand aus der Requisite einen Scherz erlaubt. Ob es im Film auffallen wird? 007 im Ruhrpott...

Stellprobe vor dem Dreh mit Kabarettist Herbert Knebel und den Schauspielern David Hugo Schmitz, Hauke Petersen, Jan Bülow und Maximilian Mundt.

„Sechs, Zwei – die Erste!“

Pause. „Du hattest doch noch eine Frage vorhin. Was war das noch mal?“ Regisseur Kutschmann steht vor mir und wirkt angesichts des emsigen Treibens um  sich herum seeehr entspannt und ausgesprochen  auskunftsfreudig. Gar kein Stress? Der Kinofilm-Debütant lacht: „Hier sind so viele Kollegen am Werk, alles greift ineinander. Jeder macht es mir leicht.“ Beschreibe doch mal deine Arbeit! „Es ist so, als ob du einen Zwölfspänner fährst. Da braucht es auch Harmonie. Neben der eigentlichen Regiearbeit ist mir wichtig, für eine gute Gesamtatmosphäre zu sorgen. Dazu müssen sich alle möglichst wohlfühlen, alle sollen Spaß haben.“ Alles in allem sind es rund 600 Menschen, die zur Realisation von „Radio Heimat“ beitragen. Bei Regie und Produktion angefangen, bei den Leuten vom Catering und den Komparsen aufhörend.

Die nächste Szene. Zwei junge Männer fahren im Opel Manta vor und stellen den vier Freunden Frank (David Hugo Schmitz), Spüli (Hauke Petersen), Pommes (Jan Bülow) und Mücke (Maximilian Mundt) eine „Ein-Wort-Frage“: Eierberg!?“ Es drängt sich der „Laberfürst“ (Uwe Lyko, bekannt als „Herbert Knebel“) dazwischen und hält den beiden vergnügungsinteressierten Kerlen einen kurzen Vortrag über bessere Alternativen. So stehts sinngemäß im Ablaufplan.

Das von einem professionellen Ausleiher organisierte Auto ist allerdings kein Manta, sondern ein Rekord C Coupé in der Farbkombination gold-schwarz. Matthias Kutschmann zur kurzfristigen Änderung: „Der Manta ist gut, dieser Rekord ist für die Szene aber noch besser. Der sieht einfach mehr nach `Porno´aus!“

Hier fahren die beiden Herren im Opel Rekord vor, Kamera und Ton laufen. Mehrfach wird die Szene wiederholt, bis alles im Kasten ist.

Und wo wir gerade beim Thema sind – hier noch die Erklärung für alle, die jetzt nicht wissen, was das mit dem „Eierberg“ heißen soll: Die Straße „Im Winkel“ in Bochum bildet zusammen mit der Gußstahlstraße das Rotlichtviertel der Stadt. Außer „Eierberg“ werden alternativ auch die Begriffe „Riemenschleifer“ oder „Riemenwalzwerk“ benutzt.

Ich schweife ab, zurück zum Thema. Der Opel steht zur Abfahrt bereit, René Wessely und Tybald Bischoff haben im Fahrzeug mit dem alten DIN-Kennzeichen BO-EY 102 Platz genommen. Beide haben Kostüm und Maske besucht, die Bekleidung und die Matten sind absolut „Porno“. Links und rechts am Straßenrand stehen weitere Autos, die 1983 dort hätten stehen können. Ein Mercedes T-Modell, ein BMW 524 td, ein Audi 100 LS und ein Ford Capri. Alle ebenfalls mit alten Bochumer Nummern. Außerdem knattert noch eine orangefarbige Kreidler Florett vorbei. Den Capri – meinen Capri – habe ich Regisseur Kutschmann noch kurzfristig „sehr ans Herz gelegt“. Ingo Naujoks jedenfalls hats sehr gefallen: „Ich habe auch mal einen gehabt, so vor 30 Jahren, als ich in Bochum neben der Schauspielerei noch gejobbt habe. Eine geile Zeit war das, die Karre war allerdings nicht mehr wirklich frisch. Schließlich konnte ich das Ding in die Tonne kloppen, so kaputt war der.“

Alles ist bereit. Nun gilt es, das richtige Licht abzuwarten. Eine Sonne-Wolken-Mix hat sich eingestellt, es darf nicht zu einem Anschlussfehler zur vorhergehenden Szene kommen. Sprich: Das muss alles mit der Helligkeit zusammenpassen. Und los: Mal fährt der Opel zu schnell, dann laufen die Jungs zu langsam oder zu weit von der Fahrbahn entfernt. Oder, oder. Knapp ein Dutzend Mal absolviert das schwarz-goldene Coupé den Weg, dann ist auch das im Kasten.

Die Statisten René Wessely (links) und Tybald Bischoff sitzen im Rekord – und sehen im normalen Leben etwas anders aus...

Es folgt zur Alternative für den Schneideraum noch eine Aufnahme, in die das Schiebedach des Rekord eingebaut wird. „Drehschluss für heute“, schallt es über den Set. Blick zur Uhr: 18.30 Uhr. Gut Ding will Weile haben!

Ein „Heimatfilm“ für das Ruhrgebiet ist es auch noch in Sachen Besetzung. Die Schauspieler Anja Kruse (Essenerin), Jochen Nickel (Wittener), Ralf Richter (Essener), Peter Nottmeier, Willi Thomczyk (Wanne-Eickeler), Ingo Naujoks (Bochumer) und Sandra Borgmann (Mülheimerin) sind waschechte Ruhris. Dies gilt auch für die Kabarettisten Gerburg Jahnke (Oberhausen), Hans-Werner Olm (Bochum) oder Uwe Lyko (Duisburg, „Herbert Knebel“). Außerdem spielen Elke Heidenreich, Peter Lohmeyer, Martin Semmelrogge, Stephan Kampwirth und Heinz Hoenig mit, denen man problemlos einen echten „Ruhri“ abnimmt. Gilt natürlich auch für Manfred Breuckmann, einst die „Ruhrgebietsstimme“ im Hörfunk, wenn am Samstag die Fußball-Bundesliga spielt.

[Text und Fotos: Marc Keiterling]